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Ein Besuch im "Gestern".

Am Samstag den 16. September 2006 war ich zu einem Geburtstagsfest im größeren Rahmen eingeladen.

Wie kam es zu dieser Einladung? In letzter Zeit habe ich wieder Kontakt zu einem Freund und "Kampfgefährten" aus längst vergangenen Jugendtagen. In seiner politischen Funktion hat er mich nach Rückfrage auf die Gästeliste gesetzt. Über diese Geste der Wertschätzung war ich sehr erfreut. Insgeheim habe ich auch auf ein Wiedersehen mit Freunden und Bekannten aus meiner aktiven Zeit in der Jugendbewegung gehofft.

Vorbereitung

Im Vorfeld hatte ich zwei Dinge zu klären. Was ziehe ich an, ist ja letztlich ein Geburtstagsfest einer bekannten, öffentlichen Persönlichkeit - und an wen "halte" ich mich, zumindest anfangs, ein wenig an? Die erste Frage war relativ rasch geklärt. Krawattenlose Partykleidung reicht. Ein Mittelding zwischen Eleganz und Partylook und meinem Alter entsprechend. Beim Anblick der vorherrschenden Garderoben war meine Wahl ziemlich gut getroffen - denke ich! Insbesondere bei der Entdeckung von schwarzen Theateranzügen (bei einem hing noch der Preiszettel am Ärmel), gepaart mit T-Shirts von zwei "Mädels" meines Alters mit der Aufschrift "Rot ist geil, ich bin rot" (wie auch immer dies zu interpretieren war), bis hin zu schwarzen Rollkragen Pullis (bei cirka 16 plus Grad Aussentemperatur - was trägt der bloß im Winter?). Nein, mein Outfit war schon richtig gewählt.

Die zweite Frage war schwieriger zu beantworten. Trotz meines Bemühens im Vorfeld den, oder die Eine, oder Anderen zu bewegen mir ein wenig "Rückendeckung" zu gewähren, hat sich leider niemand bereit gefunden. Längstens beim Scheitern dieses Unterfangens hätten bei mir Alarmglocken läuten sollen. Aber die Vorfreude hat wohl wieder mal über die Vernunft gesiegt. "Alter schützt vor Torheit nicht!" - quod demonstrandum est. Somit bin ich alleine aufgebrochen. Mangels Schüchternheit und einer großen Portion Selbstvertrauen war ich der Überzeugung mir einen netten Abend zu gönnen.

Begegnungen

Eine gute Stunde bin ich unter den vielen Menschen alleine herumgestanden, habe mir die verbindenden Worte des Conferenciers gegeben, den launigen Worten des zu ehrenden Gastgebers gelauscht und mich an einem kleinem Glas Bier angehalten. Und ich habe sie getroffen - Freunde von Gestern. Manche haben mich angesehen, durch mich durchgesehen und mir den Rücken gekehrt - warum auch immer!? Einige haben mit mir gesprochen, mir von Dialyse, von künstlichen Gelenken und Rheuma, Enkel und anderen Schauerlichkeiten erzählt. Mir wurde schlecht und ich begann zu zweifeln, an mir an meinem Leben und meiner Hoffnung "das Gestern" ein wenig wieder aufzufrischen. Kann doch nicht sein, bin doch nicht Dorian Gray, oder fühle ich mich bloß jünger als mich Andere sehen.

Ich brauchte dringend einen Spiegel. In den Toilettanlagen habe ich mich gute fünf Minuten betrachtet. Schön bin ich nicht, war es auch nie - habe meine Falten unter den Augen, wenige, dafür graue Haare, habe noch immer meine blauen Augen, die beim Lesen bereits ein wenig Unterstützung brauchen, und wenn ich lächle, dann kommt es aus dem Herzen und nicht aus Verzweiflung. Kurzum - I feel myself happy.

Der Zweifel ...

Und plötzlich war sie da, die alles entscheidende Frage - was mache ich eigentlich hier? So sehr ich auch diese "Welt" vermisse, so geborgen und wohl ich mich in ihr fühlte, die Erkenntnis, es ist nicht mehr meine "Welt", schmerzt. Es sind andere da, die sie ausfüllen, beleben und deren Geist diese ewige Bewegung vorantreibt.
Flucht! - ich habe hier nichts zu suchen - und schon gar nicht "das Gestern".

Hoch erhobenen Hauptes und den Tränen nahe habe ich mich durch die Vordertür verabschiedet. Erst als ich mich beim summen eines Liedes ertappte -
Wir sind jung, die Welt ist offen ....
Bruder lass den Kopf nicht hängen,
kannst ja nicht die Sterne seh'n,
aufwärts blicken, vorwärts drängen,
wir sind jung und das ist schön!
hat sich wieder ein Lächeln in mir aufgedrängt.

Und dennoch ...

Mein lieber Jugendfreund, Danke für die Einladung. Du hast ein tolles Fest organisiert. Und nicht dem Politiker, sondern der von mir geschätzten Person, aus ganzem Herzen die besten Glückwünsche zu Deinem Geburtstag.

Heute, aus dem Gestern, für das Morgen lernen. Ich habe wieder aus Erfahrung gelernt: Versuche nie das "Gestern" zu reanimieren. Es verursacht nur Schmerzen ... in vielerlei Hinsicht.






zuletzt bearbeitet: Montag, 07.März 2016 - 15:06, UTC